- Offizieller Beitrag
ZitatAlles anzeigenDas AG München hat entschieden, dass die Frage, ob ein privat
aufgenommenes Video in einem Zivilprozess zu Beweiszwecken verwendet
werden darf, von einer Interessenabwägung abhängt.Am 30.05.2011 kam es in München an der Kreuzung
Tegelbergstraße/Naupliastraße zu einem Verkehrsunfall. Ein Fahrradfahrer
fuhr rechts neben dem Fahrer eines Smart Cabrios, der ihn dann
überholte. Als der Pkw-Fahrer plötzlich abbremste, geriet der
Fahrradfahrer ins Straucheln und fiel hin. Dabei verletzte er sich und
auch sein Fahrrad wurde beschädigt. Die Arzt- und Reparaturkosten von
insgesamt 3.000 Euro wollte der Fahrradfahrer vom Autofahrer ersetzt
bekommen sowie darüber hinaus ein angemessenes Schmerzensgeld.
Schließlich habe dieser ihn absichtlich ausgebremst, um ihn zu
maßregeln. Der Fahrer des Cabrios habe ihm nämlich vorher schon den
"Mittelfinger" gezeigt, weil er sich beschwert habe, dass der Smart ihn
zuvor ohne jeglichen Seitenabstand überholt habe. Er könne das alles
auch beweisen, weil er seine Fahrradfahrt auf Video aufgenommen habe.
Der Autofahrer weigerte sich zu zahlen. Es stimme so alles nicht und die
Verwertung des Videos verletze ihn in seinen Grundrechten. Daraufhin
erhob der Fahrradfahrer Klage vor dem AG München.Das AG München hat die Klage abgewiesen.
Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Fahrradfahrer den
Unfall überwiegend selbst verschuldet habe, so das Amtsgericht. Das
mitwirkende Verhalten des Autofahrers sei von so untergeordneter
Bedeutung gewesen, dass eine Haftung nicht mehr in Betracht komme. Zu
einer Berührung des Fahrrads mit dem Smart sei es nicht gekommen.
Deshalb hafte der Autofahrer nicht automatisch schon wegen der
Betriebsgefahr, die von seinem Auto ausgehe für die Folgen des Unfalls.
Der Fahrradfahrer habe vielmehr ein Verschulden des Autofahrers zu
beweisen. Dies sei ihm nicht gelungen. Zunächst sei streitig gewesen, ob
die Verwertung des Videos zulässig sei. Zur Beantwortung dieser Frage
komme es auf die Interessen beider Parteien an, die gegeneinander
abzuwägen seien.Hier führe die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die
Verwertung des Videos zulässig sei. Zu der Zeit, zu der das Video
aufgenommen wurde, habe der Aufnehmende damit noch keinen bestimmten
Zweck verfolgt. Die Personen, die vom Video aufgenommen wurden, seien
rein zufällig ins Bild geraten, so, wie es auch sei, wenn man
Urlaubsfotos schieße oder Urlaubsfilme mache und dabei auch Personen mit
abgebildet werden, mit denen man nichts tun habe. Derartige
Fotoaufnahmen und Videos seien nicht verboten und sozial anerkannt.
Jeder wisse, dass er in der Öffentlichkeit zufällig auf solche Bilder
geraten könne.Nachdem die abgebildete Person dem Fotografen in der
Regel nicht bekannt sei und dieser damit auch keine näheren Absichten
gegenüber der abgebildeten Person verfolge, bleibe die abgebildete
Person anonym und sei damit allein durch die Tatsache, dass die Aufnahme
erstellt wurde auch nicht in ihren Rechten betroffen. Eine
Beeinträchtigung ihrer Grundrechte könne nur dann vorliegen, wenn eine
derartige zufällig gewonnene Aufnahme gegen den Willen der abgebildeten
Person veröffentlicht werde. Das liege hier zwar vor, nachdem der Kläger
von der Videoaufnahme im Gerichtsverfahren Gebrauch machen wolle. In
dem Moment, in dem sich der Unfall ereignete, habe sich aber auch die
Interessenlage der Beteiligten geändert. Der Fahrradfahrer habe nunmehr
ein Interesse daran, Beweise zu sichern. Dieses Interesse sei in der
Rechtsprechung auch anerkannt: Es werde für unproblematisch gehalten,
wenn ein Unfallbeteiligter unmittelbar nach dem Unfall Fotos von den
beteiligten Fahrzeugen, der Endstellung, Bremsspuren oder auch von
seinem Unfallgegner mache, um Beweise für den Unfallhergang und die
Beteiligung der Personen zu sichern. Es könne keinen Unterschied machen,
ob die Beweismittel erst nach dem Unfall gewonnen werden oder bereits
angefertigte Aufnahmen nun mit dieser Zielrichtung verwertet werden.
Deshalb könne in dem Prozess das Video ausgewertet werden.Die Auswertung des Videos habe aber nunmehr ergeben, dass der
Fahrradfahrer mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h gefahren sei und
deshalb zum vorausfahrenden Pkw einen Abstand von 12 m hätte einhalten
müssen. Das habe er aber nicht getan, er sei viel mehr in einem Abstand
von nur 8 m hinter dem Pkw hergefahren. Als er das Aufleuchten der
Bremslichter sah, hätte er trotzdem sein Fahrrad noch sicher im Stehen
bringen können, wenn er eine moderate Bremsung nicht nur mit der
Vorderradfelge, sondern auch mit der Hinterradfelge ausgeführt hätte, um
die Stabilität seines Fahrrades zu erhalten. Dazu hätte die verbliebene
Strecke bis zum Halt des Pkws ausgereicht. Der Autofahrer habe auch
einen verkehrsbedingten Anlass für seine Bremsung gehabt, da ihm ein PKW
entgegengekommen sei. Dass der Autofahrer den Kläger maßregeln wollte,
müsse dieser beweisen. Das Video zeige dies, insbesondere auch den
erhobenen Mittelfinger, nicht. Auf der entsprechenden Bildsequenz sei
lediglich eine erhobene Faust zu sehen. Ob ein Finger darüber
hinausrage, könne hingegen nicht mit der nötigen Sicherheit gesagt
werden. Der Autofahrer habe angegeben, dass er gelegentlich beim Fahren
mit seinem Cabrio die Hand am oberen Türholm habe. Anhand dessen, was
man auf dem Video sehe, lasse sich diese Variante nicht völlig
ausschließen.Das Urteil ist nicht rechtskräftig.