- Offizieller Beitrag
Zitat von freiepresse.deAlles anzeigenCockpitkameras sollen bei Unfällen Beweise liefern. Doch ihr Einsatz ist umstritten, wie ein Fall aus Chemnitz zeigt.
Es ist ein sonniger Apriltag, kurz nach neun Uhr morgens, als Karsten Hähl aus Chemnitz beim Wegbringen von Leergut in eine Polizeikontrolle gerät. Das Interesse der Beamten gilt einer Mini-Kamera, die der Rentner mit zwei Gummibändern am Innenspiegel seines Mitsubishi ASX fixiert hat. "Was ist denn das hier?" fragt einer der beiden Polizisten. Hähl antwortet wahrheitsgemäß: "Eine Dashcam."Keine zehn Euro hat der 68-Jährige für das Gerät der Marke NavGear bezahlt. Er habe damit Beweise sichern wollen, falls er in einen Unfall verwickelt werde, erklärt Hähl. "In der Zeitung hatte ich gelesen, dass Dashcam-Videos von Gerichten zur Klärung des Unfallhergangs zugelassen seien." Er sei sich keines Vergehens bewusst. Doch der Polizist belehrt ihn, eine Aufzeichnung sei rechtlich nicht zulässig. Die Kamera wird sichergestellt. Gegen ihn werde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, man melde den Sachverhalt an den Datenschutzbeauftragten in Dresden, erklären die Beamten. Ihn erwarte ein Bußgeld von mindestens 180 Euro. Hähl ist geschockt und verunsichert von der Strenge der Polizisten. "Die haben mich behandelt wie einen Schwerverbrecher."
Dass Dashcams auf Armaturenbrettern oder an Windschutzscheiben erlaubt sind, glauben mittlerweile viele. Auslöser hierfür dürfte auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) gewesen sein: Im Mai 2018 erklärten die Karlsruher Richter, Videoaufnahmen der Mini-Kameras seien grundsätzlich als Beweismittel in einem Zivilprozess verwertbar (Aktenzeichen: VI ZR 233/17). Doch so eindeutig, wie es klingt, ist die Lage nicht. Denn aus Sicht des BGH stellt die "permanente anlasslose Aufzeichnung" einer Fahrt weiterhin einen Verstoß gegen das Datenschutzrecht dar, der mit einem Bußgeld geahndet werden kann.
Um solche Strafen zu umgehen oder zumindest gering zu halten, verfügen moderne Dashcams über einen Modus für Schleifenaufnahmen. Diese "Loops" werden - so zumindest die Theorie - ständig überschrieben. Dauerhaft gespeichert wird nur, wenn die integrierten Sensoren eine Erschütterung registrieren, wie sie zum Beispiel bei einem Zusammenstoß oder einer Notbremsung entsteht. Wie lang ein Loop maximal sein darf, steht jedoch nicht im Gesetz. "Alles im Bereich von ein, zwei Minuten dürfte unkritisch sein", schätzt ADAC-Jurist Dr. Markus Schäpe.
Manche Experten verweisen in dem Zusammenhang auf ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Dort hatten die Richter ein halbminütiges Video als Beweismittel zugelassen (Aktenzeichen: 2 O 4549/15). Laut BGH muss aber in jedem Fall neu abgewogen werden, ob das Interesse an der Unfallaufklärung oder am Datenschutz höher zu bewerten sei.
Karsten Hähl weiß nicht genau, nach welchem Schema seine Kamera aufgezeichnet hat oder in welchen Abständen die integrierte Speicherkarte überschrieben wurde. "Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, ob das Ding nun eine halbe Minute aufnimmt oder drei Stunden." Ein Versäumnis, das ihn im Nachhinein ärgert. Unstrittig ist dagegen, dass die Dashcam lief, als er in die Kontrolle geriet. "Der Motor lief ja."
Entdeckt die Polizei bei Routineüberprüfungen eine Dashcam, sollten sich deren Besitzer möglichst defensiv verhalten, rät der Dresdner Verkehrsrechtsanwalt Christian Janeczek. "Machen Sie auf keinen Fall Angaben darüber, ob die Kamera eingeschaltet war." Denn Voraussetzung für ein Bußgeld sei immer, dass das Gerät tatsächlich genutzt wurde. Bloßer Besitz ist dagegen nicht illegal. Strittig sein könnte dann noch, ob die Ordnungshüter das Recht haben, die Kamera zu beschlagnahmen. Eine Sprecherin der Chemnitzer Polizeidirektion bejaht diese Frage mit Verweis auf "konkrete Verdachtsmomente". Janeczek tendiert zum Nein: "Es liegt ja keine Straftat vor, sondern nur ein vergleichsweise geringer Verstoß." Es fehle hier allerdings noch an Rechtssprechung.
Folgt man Janeczeks Argumentation, ist Karsten Hähl bei der Verkehrskontrolle in Chemnitz wohl zu kooperativ gewesen. Laut Protokoll hat er einer Sicherstellung seiner Dashcam zugestimmt. Mit anderen Worten: Er hat das Gerät freiwillig herausgerückt. Post von den Datenschützern aus Dresden ist bisher noch keine bei ihm eingetroffen. Um keine Fehler mehr zu machen, hat Hähl am Dienstag einen Anwalt konsultiert. Der habe ihm schon im Erstgespräch gesagt, "dass ich kein Einzelfall bin."
Tatsächlich gehören Dashcam-Fälle zu den häufigsten Ordnungswidrigkeiten, die Sachsens Datenschutzbeauftragter zu bearbeiten habe, sagt dessen Sprecher Andreas Schneider. Das habe auch damit zu tun, dass solche Fälle häufig angezeigt würden - etwa von Polizeibeamten, die die Geräte immer wieder mal bei Verkehrskontrollen hinter der Frontscheibe entdecken.
Wie viele Dashcams hierzulande im Einsatz sind, darüber gibt es keine aktuellen Zahlen. Zuletzt meldete der Branchenverband Bitkom im Mai 2018, innerhalb der letzten drei Jahre seien in Deutschland rund 150.000 dieser Minikameras verkauft worden. Tendenz: stark steigend. Ob ihre Dashcam "BGH-urteilskonform" ist, interessiere dabei aber weniger als jeden zweiten potenziellen Käufer, zeigte eine Umfrage des Marktforschungsinstituts One Poll. Wichtiger ist Interessenten demnach, sich gegen eventuelle Schäden am eigenen Fahrzeug abzusichern. So, wie es auch Karsten Hähl machen wollte.
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[/irony][irony]Probleme mit Dashcams
Kein automatisches Löschen: Die Zeitschrift c't und der ADAC haben 2018 neun Dashcams getestet. Nur zwei Modelle - die Garmin Dashcam 55 und die Blackvue DR-750 S - löschten ihre Videos, wenn ihre Sensoren keine Unfallsituation oder ein abruptes Fahrmanöver erkannt hatten. Alle anderen Geräte zeichneten zwar Loops auf, löschten diese aber erst, wenn die Speicherkarte voll war.[/irony][irony]
[/irony][irony]Untaugliche Befestigungen:
Einige Kameras, die per Saugnapf an der Scheibe fixiert werden, klappten bei simulierten Crashs nach oben wegoder sprangen aus ihrer Halterung.[/irony][irony]
[/irony][irony]Nur Frontaufnahmen:
Nur eine einzige Kamera aus dem Testfeld verfügte über eine zweite Kamera fürs Heck des Autos.[/irony][irony]
[/irony][irony]Schlechte Bildqualität:
Nachtaufnahmen waren durchweg kaum brauchbar, tagsüber waren die Videos okay. Viele Kameras zeichnen mit einer Bildwiederholrate auf, die nur für langsame Fahrten ausreicht.[/irony]Andere Länder, andere Regeln: In Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Spanien sind Dashcams erlaubt. Besser ohne Dashcam sollte man laut ADAC durch Belgien, Portugal, Österreich oder die Schweiz reisen. (rnw)
Quelle: https://www.freiepresse.de/ratgeber/dashc…artikel10513418